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Lechts und Rinks

Symbolbild 768x547 - Lechts und Rinks

Mit der Fortschreibung des Lockdowns im Winter 2020/21 wuchs der Widerstand gegen die damit verhängten Maßnahmen zur Pandemie-Eingrenzung. Im Protest gegen diese tun sich ungewöhnliche Allianzen auf. Sie sind so verwirrend wie der Buchstabensalat in dieser Überschrift.

von Aurel Weber & Wolfgang Weber

Corona scheint die klassische Einteilung in politische Lager zu verändern. Diese sieht auf der einen Seite reformbewusste Linke, auf der anderen konservativ orientierte Rechte. Beide würden durch eine weltanschaulich kaum fassbare Mitte auseinandergehalten. So lautete über Jahrzehnte das ideengeschichtliche Credo.

Im Unmut gegen staatliche Einschränkungen von Grundrechten, welche seit dem März 2020 verhängt werden, fanden sich immer wieder linke wie rechte Menschen und nach einem Befund des österreichischen Innenministers Karl Nehammer auch Familien zusammen, um gegen staatliche Maßnahmen zur Einschränkung der Covid-19-Pandemie öffentlich zu protestieren. Am 31. Januar 2021 etwa wurden in Wien 15 von 17 solcher Kundgebungen aus Gründen des Gesundheitsschutzes polizeilich untersagt. Zu den zugelassenen zwei kamen bis zu 10.000 Menschen. Unter ihnen waren der Sprecher der rechten Identitären Bewegung Martin Sellner, der mehrfach wegen Verstößen gegen das NS-Gesetz verurteilte Nationalsozialist Gottfried Küssel, der Gründer von Halleluja-TV Peter Steinbacher oder der ehemalige Kärntner Landtagsabgeordnete des Teams Stronach und ehemalige grüne Bezirksobmann Martin Rutter.

Minister Nehammer hielt am 1. Februar 2021 in einer Presseaussendung fest, dass die „rechtsextreme wie auch die linksextreme Szene in Österreich […] die besonderen Herausforderungen der Corona-Pandemie nutzen, um die rechtsstaatlichen Strukturen auszuhebeln und im Hintergrund ihre Ideologie zu transportieren.“ Deren Ziel sei die Schwächung der österreichischen Demokratie. Mit dieser Aussage schrieb Nehammer einen Diskurs über Kritik an Corona-Maßnahmen der Bundesregierung fest, der verkürzt lautet, dass die Demokratie in Österreich von ihren Rändern her bedroht werde. Die Mitte hingegen bewahre nicht nur die Demokratie – sie sei die Demokratie.

Der Verfassungsbogen und seine Ränder

Ein solches Verständnis von Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Ganzen geht davon aus, dass es eine gemeinsame Schnittmenge an Haltungen und Werten gibt, welche das Tun von einzelnen und Gruppen in einem Staat bedingen.

Diese Schnittmenge ist in der Regel in einer Verfassung festgeschrieben. In Österreich zählen dazu z.B. die Achtung der Menschenrechte oder die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Wer die Verfassung achtet und schützt, ist Mitte. Wer diese achtet und kritisiert, ist radikal. Wer diese ablehnt und abschaffen will, ist extrem. Im Sinne dieser in den Politikwissenschaften etablierten Analyse wären nach der Aussage von Innenminister Nehammer die Demonstrant:innen des 31. Januar, zumindest jene, die er der von ihm konstatierten links- und rechtsextremen Szene zuordnet, für eine Abschaffung der österreichischen Verfassung, die ihnen erst ermöglichte, auf die Straße zu gehen.

Die Mitte ist Rechts

Eine solche Sicht ignoriert jene Erkenntnisse, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in seinen jährlichen Berichten seit 2012 kontinuierlich vorlegt. Darin wird darauf verwiesen, dass die Rechte im Unterschied zu früher nicht mehr abschreckend und laut, sondern „fürsorglich, gut gebildet, salonfähig, sozial engagiert, unauffällig“ und zusehends weiblich auftritt. 2017 hielt der österreichische Verfassungsschutzbericht explizit fest, dass die Rechte in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei.

Eben in diesem Jahr 2017 wurde in der Öffentlichkeit deutlich, was eine solche staatspolizeiliche Analyse in der Realität bedeutet. Im Frühling 2017 betrieb mit Gertraud Burtscher-Orlich eine ehemalige Vorarlberger Spitzenfunktionärin rechtsextremer Parteien eine sozialpolitische Initiative zur pensionsrechtlichen Besserstellung von Frauen, die in Bregenz wie in Wien von den Grünen, der ÖVP und der SPÖ, in Graz sogar von der KPÖ und bundesweit vom Katholischen Familienverband unterstützt wurde.

Ende 2017 wurde mit Heinz Christian Strache ein Politiker zum österreichischen Vizekanzler gewählt, der zu Beginn seiner Karriere an rechtsextremen Propagandaaktionen gegen die DDR und an sog. Wehrsportübungen des Nationalsozialisten Gottfried Küssel teilgenommen hatte.

Schon lange vor Strache waren jedoch rechtsextreme und rechtsradikale Personen unwidersprochen in leitende Funktionen in Staat und Wirtschaft nominiert worden. Das machten jene Interviewpartner deutlich, die der Vorarlberger Politologe Franz Valandro 1999 für seine Studie zur Geschichte des Rechtsextremismus in Vorarlberg befragte.

Lechts und Rinks und die Pitte

Es sind also nicht ausschließlich die extremen oder die radikalen Ränder des Verfassungsbogens, welche nach den Worten von Innenminister Nehammer vor, während oder nach einer Pandemie die österreichische Demokratie schwächen. Ihre Mitte tut es ebenso. Das zeigt neben den zwei angeführten Beispielen u.a. die in den vergangenen drei Jahren vollzogene Transformation der alten Mindestsicherung in die neue Sozialhilfe. Denn sie wurde unter einer SPÖ/ÖVP-Regierung erstmals politisch diskutiert, unter einer ÖVP/FPÖ-Regierung vom Parlament beschlossen und unter einer ÖVP-Grüne-Regierung ausgeführt. Auch in den Bundesländern. Die damit verbundenen Änderungen waren für die betroffenen Menschen oft radikal, in Einzelfällen extrem, in der Regel nie mittig im Sinne einer Verbesserung ihres Empowerments. Derlei Selbstermächtigung ist jedoch Grundlage jeder partizipativen Demokratie und muss täglich konstruktiv und wertschätzend erstritten werden – auf Basis eines Wertekataloges, der auf Anerkennung der Menschenrechte für alle beruht.

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